arno gruen
der wahnsinn der normalitaet

anpassung, rebellion und gewalt

die angepasstheit an die etablierten werte und formen unter missachtung des eigenen innenlebens ist eine unerschoepfliche quelle alltaeglicher gewalt. solange erfolg definiert wird als kontrolle und beherrschung und erfolg wiederum den selbstwert definiert, sind alle unterschiede der gesellschaftlichen struktur ziemlich bedeutungslos: das selbst bleibt in jedem fall verstuemmelt. ein wechsel der politischen ideologie aendert weder etwas an der verstuemmelung des selbst noch an der daraus resultierenden gewalt.

karl marx glaubte an eine befreiung und erneuerung des menschen durch umverteilung der produktionsmittel. er analysierte zusammen mit friedrich engels anhand brillanter details die oekonomische struktur des kapitalismus, der habgier und besitz foerdert. doch er ging davon aus, dass ohnmacht schwaeche sei, die der mensch ueberwinden muesse, und erklaerte die eroberung der dinge - auch die der natur - zum obersten ziel des menschen. damit verewigte er die ideologie des machtorientierten selbst sowie das soziale uebel, das er bekaempfen wollte. er hat den machtkaempfen eine neue richtung gegeben, aber nicht die ursachen veraendert. und noch schlimmer: indem er die menschlichen moeglichkeiten - auch die moral - nur unter oekonomischen gesichtspunkten behandelte und nichts anderes zulies, versperrte er den weg zur erkenntnis der tatsaechlichen wurzeln des machtstrebens.

hilflosigkeit kann aber nicht durch machterwerb und herrschaftsausuebung bewaeltigt werden. jede theorie, die dies anstrebt, tut dem einzelnen menschen und seiner entwicklung gewalt an. die linke gesellschaftstheorie nimmt zwar fuer sich in anspruch, den menschen aus dem gang seiner geschichte erklaeren zu koennen. sie tut dies aber auf kosten des individuums, weil sie macht nur aus dem blickwinkel der macht analysiert. das mag sich tautologisch anhoeren, ist aber der entscheidende punkt, da sie den menschen allein durch die macht wirtschaftlicher kraefte determiniert sieht. georg plechanow, der fruehe fuehrende theoretiker und propagandist des russischen sozialismus, glaubte, dass er in seiner untersuchung der historischen prozesse die rolle des individuums beschreiben wuerde, tatsaechlich aber leugnetet er die rolle, die das individuum fuer den fortgang der geschichte spielt: "die menschliche natur kann heute nicht laenger als die letzte und allgemeinste ursache des historischen fortschritts gesehen werden: wenn sie unveraenderlich ist, kann sie nicht den wechselvollen gang der geschichte erklaeren; kann sie sich aber wandeln, dann geschieht dies ganz offensichtlich durch den historischen fortschritt selbst."

doch nicht nur die marxistische theorie leugnet die bedeutung, die die innenwelt des menschen fuer historische vorgaenge hat. russel jacoby hat den weitverbreiteten gedaechtnisschwund im hinblick auf die bedeutung des menschlichen innenlebens aufgezeigt. waehrend sich die marxisten wenigstens um die historische analyse bemuehen, sehen die meisten uebrigen theorien nicht einmal einen sinn darin, den menschen aus seiner geschichtlichen entwicklung verstehen zu wollen. selbst ein marxist wie louis althusser verkuendete, dass das studium der geschichte nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch nutzlos sei. dazu merkte der englische sozialist edward p. thompson an, dass althussers ablehnung der geschichte ihn unfaehig zum umgang mit erfahrung mache. wenn man sich aber nicht mehr auf erfahrung bezieht, die immer historisch ist, dann hat die theorie ihre bezugspunkte verloren.

wo die ideologie der macht gilt, wird das selbst von seinem inneren kern und damit auch von den wurzeln seiner historischen erfahrung abgeschnitten - unabhaengig von der speziellen faerbung dieser ideologie und der jeweiligen organisation der produktionsmittel. die daraus resultierende destruktivitaet kann ihren ausdruck entweder im konformismus oder in der rebellion finden.

arno gruen
der wahnsinn der normalitaet
realismus als krankheit:
eine theorie der menschlichen destruktivitaet
ISBN 3-423-35002-4

"arno gruen ist der erste psychoanalytiker, der von nietzsche geschaetzt worden waere." (henry miller)

    bemerkenswert an diesem text ist,
    dass reich hier seine naehe zu ibsen und nietzsche erwaehnt.
    so notierte er am 22. juni 1920
    aus anlass einer diskussion mit einem freund,
    der als hegel- und marx-anhaenger die auffassung vertrat,
    jeder einzelne sei verpflichtet,
    dem "objektiven geist" bzw. dem "ganzen" zu dienen:
    "da stelle ich mich ... auf den stirner'schen standpunkt.
    ich will nicht dienen,
    ich will den geist in mir aufrichten,
    und wenn ich dies tue und alle dasselbe tun,
    ist der objektive geist da.
    ich will nicht einen neuen herrgott
    auferstehen lassen
    und meine individualitaet vor diesem,
    er mag heissen wie er will,
    kriechen sehen;
    ich verlange auflehnung gegen alles,
    das ueber mir ist..."

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erich muehsam: befreiung der gesellschaft vom staat

indem die arbeiter den kampf als klasse aufnehmen, betonen sie das natuerliche recht auf die eigene bestimmung ueber ihre lebenslage. die einsicht, dass die staatlichen grenzziehungen aeusserungen des klassensystems sind, indem die kuenstliche verfeindung der arbeiter der verschiedenen laender durch zuechtung nationaler vorurteile die verbruederung der ausgebeuteten verhindert, - diese einsicht war der leitende gedanke bei der verstaendigung zur ersten arbeiter-internationale.

der grundlegende wahlspruch aber, der sich international zusammenfindenden arbeiterklasse war das geloebnis der selbststaendigkeit des proletariats in seinen meinungen und beschluessen. die befreiung der arbeiterklasse muss das werk der arbeiter selbst sein! in dieser festlegung ist das bekenntnis zur selbstverantwortlichkeit, zur gleichberechtigung, zur gegenseitigen hilfe und zur freiwilligkeit enthalten, wie in der internationalen einigung zugleich die verneinung des staates, somit der zentralisation, der obrigkeit und der autoritaeren macht ausgesprochen ist.

erst die durchsetzung des klassenkampfgedankens mit marxistischen lehrmeinungen brachte zugleich die klasseneinigung wie den internationalismus der arbeiter zum zerfallen. unter dem einfluss des marxismus schufen sich die arbeiter zentralistische partei- und gewerkschaftsorganisationen, bevollmaechtigte beamte zur wahrnehmung der arbeiterinteressen, womit sie also ihren befreiungskampf in die haende uebergeordneter vertreter legten, beteiligten sich an den wahlen zu den staatlichen parlamenten, so dass der staat mit seinen nationalen grenzen fuer sie wieder gegenstaendliche bedeutung erhielt und liessen sich sogar fuer den staatlich verwalteten sozialismus einfangen. so ist der arbeiter zum staatsbuerger geworden, und sein kampf gegen die ausbeutung zerschellt an dem wiederspruch, dass er den die ausbeutung bedingenden oeffentlichen apparat stuetzt und staerkt.

aus: erich muehsam, die befreiung der gesellschaft vom staat, nov.32

siehe auch:
www.comlink.de/graswurzel/244/marx.html

marxistische gewalttaeter?!

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