Arno Gruen
Der Wahnsinn der Normalität
Realismus als Krankheit:
Eine Theorie der menschlichen Destruktivität
ISBN 3-423-35002-4

 

arno gruen
der wahnsinn der normalitaet

die verweigerung der realitaet im namen der realitaet

verantwortlich werden fuer das eigene selbst ist ein paradoxer prozess. wer in einfachen begriffen des zeitlichen miteinanders denkt, wird die wirkmechanismen nie erfassen. entwicklung ist nie denkbar ohne einfluesse von aussen. wir alle haben eltern, haben vater oder mutter, die in uns weiter wirken. doch die widersprueche, die im inneren der menschlichen seele entstehen, entfalten ihre eigene dynamik. so kommt es zu handlungen, die scheinbar durch bestimmte aeussere ereignisse determiniert sind, in wahrheit aber wenig oder gar nichts mit ihnen zu tun haben.

denn nicht nur die umwelt beeinflusst das kleine selbst, das wachsen moechte. die reaktionen des kindes auf diese praegenden einfluesse wirken ihrerseits auf die umwelt zurueck. es handelt sich also um eine staendige wechselwirkung. vater und mutter koennen dem kind ihren willen aufzwingen, doch art und intensitaet ihres erzieherischen einflusses werden mitbestimmt durch die reaktionen des kindes.

die kompliziertheit dieses wechselspiels zwischen kind und eltern liegt darin, dass die moeglichkeit zur autonomie einerseits in den fruehesten interaktionen zwischen dem werdenden selbst und seiner umwelt grundgelegt wird, andererseits aber entscheidend dafuer ist, wie weit das kind verantwortung fuer sich selbst uebernimmt. davon haengen alle seine kuenftigen beziehungen innerhalb des sozialen feldes ab. grundsaetzlich kann verantwortlichkeit sich in zweierlei richtungen entwickeln: entweder formt sich das werdende selbst frei und offen in eigener verantwortung, oder es ueberlaesst sich fuegsam dem praegenden einfluss anderer. damit weicht es den verpflichtungen echter verantwortung aus.

die flucht vor der verantwortung wird dabei aus dem bewusstsein verdraengt. dies muss so sein, weil die preisgabe der autonomie durch unterwerfung unter einen fremden willen ein elementares machtspiel in gang setzt: "ich werde so, wie du mich haben willst, damit du fuer mich sorgst. meine unterwerfung ist von nun an meine macht ueber dich, mit der ich deine fuersorge erzwinge." so wird das sich-abhaengig-machen zur rache fuer die unterwerfung. dieser akt beinhaltet mehreres. erstens uebernimmt das kind die bewertung der eltern. was man internalisierung nennt, ist also ein prozess der kollaboration durch unterwerfung. zweitens bedeutet dies, dass das kind alles an sich selber zu hassen beginnt, was es in konflikt mit den erwartungen seiner eltern bringen koennte. und drittens erwaechst aus diesem selbsthass die bereitschaft zu immer weiterer unterwerfung. damit ist ein teufelskreis in gang gesetzt: unterwerfung und selbstverachtung bedingen sich wechselseitig. es ist immer beides vorhanden: selbsthass und selbstverachtung. doch eben die selbstverachtung darf nicht gefuehlt werden, weil sie unertraeglich waere. darum muss der ganze prozess unbewusst bleiben; er wird verdraengt und verleugnet, und so stuerzt man sich blindlings immer tiefer in die verstrickungen des machtspiels.

der ewige vorwurf dessen, der sich einem anderen ausgeliefert hat, lautet dementsprechend: "du hast nicht genug fuer mich getan." dies ist der ausdruck der phantasierten gegenmacht, die jedem pakt, der auf herrschaft und unterwerfung aufbaut, innewohnt. dieses machtspiel wirkt freilich im verborgenen und beginnt beim saeugling im strom praeverbaler gefuehle. dieses machtspiel muss demnach gerade geheimgehalten werden, um die absicht der gegenmacht zu verbergen. die halluzination einer gegenmacht verhuellt dem, der sich unterwirft, dass er sich willentlich unterwirft. das fuehrt zu einem doppelten fehlschlag: die unterwerfung bleibt bestehen, und die rache wird zur selbstschaedigung. unablaessig geschuert vom selbsthass, wird das rachebeduerfnis zur uneingestandenen und unerkannten quelle und steuerung der eigenen seelischen verfassung.

so sieht die menschliche situation aus, wenn die mitwirkung an der eigenen unterwerfung die entwicklung charakterisiert. und wer nicht mehr weiss, dass er sich unterworfen hat, kann das abgespaltene selbst auch im spaeteren leben nicht integrieren. der daraus resultierende selbsthass wird alle kuenftigen handlungen naehren - als versuch, das seelische ungleichgewicht zu kompensieren. eigentlich ist ein leben in selbsthass unmoeglich. nur wenn man sich dem eigenen selbst, das sich so bereitwillig unterwerfen konnte, stellt, dann gelangt man - wenn auch unter schmerzen - zu einer verminderung des selbsthasses. doch sich ihm stellen, das wuerde bedeuten, die unterwerfung anzuerkennen, die einen hassen macht.

ein kind aber kann nicht erkennen und damit nicht zugeben, dass es den schmerz nicht ertragen konnte, in seinem selbst nicht wirklich angenommen zu werden, nicht anerkannt zu werden. sich selbst angenommen zu fuehlen durch die liebe eines anderen ist eine grundbedingung des menschlichen wachsens. friedrich hebbel hat es in einem gedicht ausgedrueckt:

so dir im auge wundersam
sah ich mich selbst entstehen.

der schmerz darueber, nicht angenommen zu werden, ist sehr wahrscheinlich bei manchen kindern die ursache des sogenannten ploetzlichen kindstods. meistens unterwirft sich das kind, um teilzuhaben an der macht, die es unterdrueckt. autistische kinder gehen offensichtlich anders mit diesem schmerz um, sie scheinen nicht bereit zu sein, ihn zu leugnen.

es ist sehr paradox: man kann nicht mit dem selbsthass leben, ohne etwas gegen ihn zu tun. wuerde man ihm ins gesicht sehen, saehe man sich dem schmerz ueber den verrat, den man an sich selbst begangen hat, konfrontiert. also wird geleugnet. der widerspruch zwischen dem beduerfnis, vor sich selbst das gesicht zu wahren, und der bereitschaft, sich durch unterwerfung mit der macht zu verbuenden, ist deshalb die grundlegende und vielleicht erste spaltung in der menschlichen seele. sie ist nicht eine blosse verdraengung, sondern eine radikale abspaltung, die abspaltung vom wissen um das preisgegebene selbst und den daraus resultierenden selbsthass. dies wird zum grundprinzip eines ganzen lebens. diese spaltung ist eingebettet und wird aufrechterhalten von einer gesellschaftlichen ideologie, die gehorsam mit verantwortung gleichsetzt: gehorsam sein heisst gut sein, und gut sein heisst verantwortungsvoll sein. frei sein dagegen ist ungehorsam, und wer ungehorsam ist, fordert missfallen heraus und droht den schutz der maechtigen beziehungsweise die chance der teilhabe an ihrer macht zu verlieren.

an dieser stelle ist es noetig, etwas zur soziologischen sicht des menschlichen seins zu sagen. kriminalitaet wird zum beispiel als eine folge der armut gesehen. doch dies erklaert nicht, warum die mehrheit nicht kriminell wird. daraus wiederum kann man aber nicht schlussfolgern, armut haette keinen zusammenhang mit kriminalitaet. man kommt nicht umhin, einiges zu differenzieren. wenn ein hungriger stiehlt, handelt er nicht aus habgier; und wenn er dabei, ohne es zu wollen, jemanden umbringt, ist es kein vorsaetzlicher mord. andererseits gehoeren die reichen und maechtigen zu jenen in unserer gesellschaft, die kriege anzetteln, die lebensgrundlage anderer menschen zerstoeren, natur und menschen vergiften. sie aber sitzen nicht in den gefaengnissen. kriminalstatistiken verzeichnen nur deshalb mehr arme als reiche, weil solche statistiken der ideologie der reichen und maechtigen unterliegen und weil sie nicht alle formen der destruktivitaet auffuehren.

die zivilisation und ihre gehorsam fordernden normen sind entscheidende faktoren bei der entstehung von selbsthass. dieser ist die die ursache fuer unbehagen und unglueck. wenn der wahrheit ausgewichen wird zum nutzen von ideologien, durch die sich die kultur der macht am leben erhaelt, wird menschliches unglueck staendiges merkmal unseres lebens sein, gleichgueltig, welche wirtschaftliche oder politische richtung eine gesellschaft hat.

deutlichstes zeichen hierfuer ist das rachsuechtige und vorwurfsvolle verhalten vieler menschen - egal, ob sie in einem kapitalistischen oder kommunistischen land leben. denn rache und vorwurf - nicht freiheit - sind zu ihrem lebensziel geworden, und so vertiefen sie immer weiter ihre abhaengigkeit und verfallen immer mehr dem wahn, macht sei das allheilmittel fuer alle probleme. so halten folgerichtig viele menschen an der luege fest, sie haetten einen aufrechten gang und seien selbstbestimmte menschen. und das ist auch der grund, warum alle machtspiele in ihren absichten heuchlerisch sind und auf der selbstluege beruhen. eine mutter kann ihr kind - so meint sie - zurueckweisen, wenn es nach ihr ruft, sie hat es doch eben gewickelt und will sich nicht schon wieder die haende schmutzig machen. statt die verzweiflung ihres babys zu spueren, bemitleidet sie sich selbst.

seelische veraenderungen lassen sich nicht nur ueber das verstehen der eigenen geschichte erreichen. in jeder psychotherapie oder psychoanalyse reicht die entwirrung der verschlungenen chronologie der kindlichen erlebnisse und einfluesse nicht aus, um echte veraenderung zu bewirken. der patient aendert sich erst, wenn er selbst die verantwortung dafuer uebernimmt, dass er sich einmal dafuer entschieden hat, sich der macht zu unterwerfen. denn genau diese unterwerfung ist es, die sein autonomes potential hat verkrueppeln lassen und die seine seelische deformation bewirkte.

das ist auch meine kritik an alice millers sehweise, obwohl ich ihr werk fuer wichtig und bedeutsam halte. sie argumentiert, als ob das verstaendnis fuer die determinierenden einfluesse bereits die heilung bewirke. tatsaechlich fuehrt das aber nur dazu, dass sich der patient wolluestig im spiegel des therapeutischen verstaendnisses sonnt, ohne sich aendern zu muessen. und der therapeut wird, indem er sich als gute mutter fuehlt, nicht zu erkennen brauchen, dass er den patienten von sich abhaengig gemacht hat. also wiederholt sich das ewige spiel zwischen dem maechtigen und dem abhaengigen, zwischen der "guten" mutter und ihrem dankbaren kind, das so nicht erwachsen zu werden braucht. irrtuemlich wird eine solche internalisierung des therapeuten - das gegenteil der gesuchten eigenen indentitaet - als erwachsenwerden gewertet.

eine andere form der verkrueppelung ist es, sich nur zum schein zu unterwerfen, um die eigene autonomie zu verteidigen. dies ist eine paradoxe moeglichkeit, sich wenigstens die faehigkeit zur autonomie zu bewahren.

zur wahren befreiung und damit zum wagnis der veraenderung gibt es nur einen weg: sich dem schmerz ueber den selbstverrat stellen. es reicht, wie gesagt, nicht aus, die eigene geschichte zu verstehen, aber ebenso ungenuegend ist es, nur die soziale gewalt zu "verstehen", die auf die entwicklung des individuums einfluss nimmt. damit allein kann man nicht erklaeren, warum ein mensch zum moerder wird. man muss sich mit der unterwerfung auseinandersetzen; sie hat einen menschen dazu veranlasst, sich selbst zu hassen und dann alles leben um ihn herum, weil es ihn daran erinnert, was er getan hat. das boese, das destruktive, die unmenschlichkeit - all das hat seine wurzeln in dem unvermoegen, die verantwortung zu uebernehmen fuer die lang zurueckliegende entscheidung, das durch die geburt erworbene recht, man selbst zu sein, preizugeben. natuerlich sind das boese und die unmenschlichkeit nicht ohne unterstuetzende soziale strukturen und einrichtungen moeglich, die unterwerfung und abhaengigkeit verschleiern und gehorsam mit "verantwortlichem" handeln gleichsetzen. doch solange wir hitler als ein phaenomen sehen, das mit dem herkoemmlichen begriffspaar "normal" oder "geisteskrank" zu fassen ist, solange sind wir nicht in der lage zu erkennen, was es bedeutet hat und noch heute fuer uns alle bedeutet, dass ein mann wie er an die macht kommen konnte.

im licht des bisher gesagten sollte nun plausibel sein, warum ich einen erweiterten begriff von geistiger krankheit fuer notwendig halte. nur eine solche erweiterung fuehrt zu einem umfassenden verstaendnis des menschen und der seelischen verwirrungen, zu denen er faehig ist. was psychatrie und psychologie als geisteskrankheit vorfuehren, ist an die vorstellung gebunden, dass es sich dabei um zunehmenden realitaetsverlust handelt. mehr oder weniger realitaetsbezug - danach wird alles menschliche verhalten klassifiziert. "realitaet" wird dabei ausschliessliche als aeussere realitaet verstanden.

in der tat ist der realitaetsbezug - sein fehlen oder der grad der ergebenheit an die aeussere realitaet - ein raster, in das man menschen einordnen kann und das uns ermoeglicht, eine klassifizierung vorzunehmen vom psychotischen verhalten ueber die neurose zur normalitaet. doch ein solches schema verdeckt, dass es auch noch eine andere art von krankheit gibt, die viel gefaehrlicher ist als die, die vom verlust des realitaetsbezugs gekennzeichnet ist.

diese andere art von krankheit zu sehen erfordert einen wechsel der blickrichtung und eine abkehr von den herkoemmlichen kategorien. dann wird man sehen, dass sich hinter der orientierung an der "realitaet", die gemeinhin das kriterium fuer gesundheit ist, eine tiefere und weniger augenfaellige pathologie verbirgt: die des "normalen" verhaltens, die pathologie der anpassung als folge der preisgabe des selbst.

untersucht man diese pathologie genauer, so faellt als erstes auf, dass es sich um eine krankheit handelt, deren intention nicht ist, wahnsinn zu produzieren, sondern ihn "auszutricksen". was ich mit der "intention" einer krankheit meine, wird zum beispiel deutlich an jenen auffaelligen verhaltensweisen, mit denen jemand versucht, die aufmerksamkeit auf sein leiden zu lenken. das sind hilferufe, oft so verschleiert, dass sie sowohl den hilfesuchenden als auch den, dem der hilferuf gilt, erst recht hilflos machen. im unterschied dazu kennzeichnet die pathologie der normalitaet, die den wahnsinn austrickst, die flucht vor dem leiden. und dies in einer gesteigerten form: es ist nicht nur die flucht vor dem seelischen schmerz, sondern auch die angst vor dem auseinanderfallen, von dem sich diese art persoenlichkeitsstruktur stets bedroht fuehlt.

es ist nicht einfach, diesen vorgang anschaulich zu machen, da seine erforschung durch blockierung unserer wahrnehmung behindert ist. so sind wir oft unempfaenglich fuer bestimmte wahrnehmungen, weil wir schmerz nicht ertragen koennen. es faellt uns beispielsweise schwer, innere unruhe zu erkennen, weil wir gelernt haben, uns der aeusseren realitaet zuzuwenden, um dieser unruhe auszuweichen. und genau deshalb sind wir in der regel unfaehig, das zu sehen, was ich oben beschrieb. daher ist auch mein vorhaben schwierig: wir alle sind gepraegt vom diktat unserer zivilisation, die uns auferlegt, dem schmerz des inneren chaos auszuweichen. auf diese weise wird "gesundsein" zu einem sehr wirkungsvollen verwirrspiel, um die krankheit eines chaotischen innenlebens zu verheimlichen. am ende wird man selbst gar nicht wissen, dass man krank oder verzweifelt ist.

wie wir fortwaehrend unser wirkliches kranksein ueberspielen, davon ist das moderne leben in einem ausmass charakterisiert, wie kaum zuvor in der geschichte der menschheit. nicht zuletzt dadurch ist sie heute in ihrem fortbestand bedroht. es ist die art "gesundheit", die henry miller einmal so beschrieben hat: wir sind so "gesund", dass, wuerden wir uns selbst auf der strasse begegnen, wir uns nicht erkennen wuerden, weil uns ein selbst gegenuebersteht, das uns angst macht. immer weiter fliehen wir vor unserer inneren wueste, unserer leere, da wir ohne liebende beziehung zu uns und anderen sind, und fliehen damit vor unserer eigenen vergangenheit.

wenn sich die spaltung noch nicht ausgewirkt hat, reagieren wir auf das, was wir tun und was mit uns geschieht, mit gefuehlen von schmerz, hilflosigkeit oder freude und neugier. als teil unserer lebenserfahrung werden diese reaktionen laufend in unser innenleben intergiert und wirken dort weiter. sie sind es, die uns die energien liefern fuer unser kreatives sein, weil sie unsere empfaenglichkeit fuer alles, was von aussen auf uns eindringt, praegen. in dem mass aber, in dem der wert dieser gefuehle geleugnet wird, wird auch unsere kreativitaet vermindert. vom eigenen innenleben abgetrennt, reagiert man nur mehr mit vorgeschriebenen und vorgeformten ideen und vorstellungen. von da ist es nicht mehr weit bis zur verwandlung in roboter.

wenn schmerz, kummer, hilflosigkeit verleugnet werden, weil sie als schwaeche gelten, etwa als unmaennlicher ausdruck weiblicher gefuehlsduselei, als unangemessen im sinn maennlicher staerke (was auch fuer frauen gilt, die nach maennlichen mustern staerke fuer sich in anspruch nehmen), dann wird die innere welt ausgeschaltet und vom getriebe des alltaeglichen lebens abgekapselt. und so versinkt die innere welt immer mehr im unbewussten. aber sie bleibt der, wenn auch unerkannte, motor unseres handelns, denkens und fuehlens.

es gibt also zwei grundsaetzlich verschiedene psychische verfassungen: dort, wo die innere welt zugaenglich ist, wird der mensch faehig sein zu schoepferischen reaktionen auf die reize, die von aussen auf ihn eindringen. sie kann auch als unbewusste innenwelt da sein, solange sie zurueckholbar ist. das innenleben ist so ein bewegliches sein, das von grosser reaktionsfaehigkeit ist.

anders der gegentyp: wenn das fuehlende innere verschlossen ist, wird es unberuehrt bleiben vom fluss der interaktionen des einzelnen mit dem aeusseren leben. beziehungsweise genauer: eine wirkliche interaktion wird es gar nicht erst geben. das ausmass der daraus folgenden inneren isolation steht in direktem zusammenhang mit dem selbsthass. er wird hervorgerufen durch die aktive beteiligung an der unterwerfung unter das diktat einer "realitaet", die die leugnung eutonomer gefuehle verlangt.

diese fortwirkende quelle des hasses verstaerkt nicht nur die innere isolation, sondern auch das chaos, das von der fehlenden verbindung zwischen der innenwelt und dem aeusseren leben herruehrt. all das laesst die angst vor dem inneren und vor der bedrohung, dass es doch einmal durchbricht, anwachsen. die spaltung verstaerkt die spaltung. und so beschleunigt die angst vor dem zusammenbruch das eintauchen in die aeussere realitaet, mittels derer man lernt, sich seinen platz in einer welt zu sichern, die der macht und dem herrschen ergeben ist.

es ist festzuhalten: die einkapselung des inneren, also seine isolation vom bestaetigenden kontakt mit der aussenwelt, fuehrt zum verlust von organisation und integration. und das innere wird gefuerchtet, weil seine beherrschenden elemente zerstoerungswut und selbsthass werden.

ohne selbstorganisation bleibt das innere im zustand des aufruhrs, im chaos. dies laesst sich am umgang mit den traeumen zeigen: der grundmechanismus des traeumens dreht sich um die wiederherstellung von verlorenen dingen emotionaler bedeutung, seien es wuensche oder unbefriedigende beduerfnisse. aber diese sind in solchen menschen verzerrt oder gar verneint. das erklaert wohl auch die klinischen erfahrungen, dass es aptienten gibt, die nicht von traeumen berichten koennen, da sie von sich selbst abgespalten sind, aber auf eine andere art als schizophrene.

fehlende integration macht angst sowohl wegen der moeglichen sprengkraft, aber mehr noch, weil der mensch von geburt an auf integration angelegt ist. eric aronson und shelley rosenbloom haben nachgewiesen, dass saeuglinge schon mit dreissig tagen schmerz und unbehagen ausdruecken, wenn die bis dahin ganzheitlich-integrierte wahrnehmung der mutter unterbrochen wird oder abreisst. voraussetzung fuer ein integriertes menschliches sein ist ein innenleben, das sich vielfaeltig angeregt und in integrativem austausch mit der aussenwelt entwickeln kann. dies wiederum ist die vorbedingung dafuer, ein "menschlicher" mensch zu werden. das ist auch der grund, warum die voraussetzung fuer das boese eine weit komplexere entwicklung ist, die auf der verleugnung und zerstoerung des selbst beruht.

die geschilderten spaltungsvorgaenge sind sehr verschieden von jenen, die wir beim schizophrenen erleben. dieser versucht, in seiner innenwelt zu bleiben, weil er die heuchelei der aeusseren, "realen" welt nicht ertragen kann. er spaltet die aussenwelt ab, um mit der eigenen gefuehlswelt in verbindung zu bleiben und mit den moeglichkeiten der autonomie, die seine eigene innenwelt fuer ihn hat.

die verdraengung ihrer verzweiflung und inneren unausgegichenheit, also die abspaltung vom eigenen innenleben, kennzeichnet jene menschen, von denen angenommen wird, sie stuenden voll in der realitaet. diese einschaetzung gruendet darauf, dass unsere vorstellung von "realitaet" ganz auf diesen typus zugeschnitten ist, und wird dadurch immer wieder scheinbar bestaetigt. darum wird gerade solchen menschen die macht anvertraut, ueber unser schicksas zu bestimmen, obwohl sie der verantwortung gar nicht gewachsen sind. dies geschieht aber auch deshalb, weil diese menschen unsere eigenen phantasien von realismus und staerke verkoerpern.

thema dieses buches ist daher die heimtuecke einer "gesundheit", die das fehlen eines echten selbst verbirgt und die gleichzeitig als das mittel zur flucht vor dem inneren chaos dient, das folge dieses mangels ist. die abspaltung vom inneren macht die entwicklung eines echten selbst unmoeglich.

der wahnsinn, der sich als normalitaet maskiert, unterscheidet sich grundlegend von dem, was man gewoehnlich unter wahnsinn versteht. deshalb muessen wir die vorstellung ueber den wahnsinn anders fassen. schizophrenie - der "erkennbare" wahnsinn - muss in einer ganz anderen perspektive gesehen werden: schizophrenie ist das ringen mit einem viel folgenreicheren wahnsinn, naemlich mit dem wahnsinn, der als normalitaet erscheint. damit wird auch die schwierigkeit meiner sicht deutlic: wir alle fallen auf den aeusseren anschein von normalitaet herein, da wir selbst unter dem druck unserer erziehung den kontakt mit dem verloren haben, was sich hinter dieser fassade verbirgt.

das wiederspruechlichste der heutigen psychopathologie liegt darin, dass vor allem solche menschen als krank klassifiziert werden, die an sich nichts anderes suchen, als die verbindung zu ihrer eigenen gefuehlswelt zu erhalten, und nicht jene, die versuchen, sich dieser verbindung zu entledigen. die krankheit der ersteren ist nur zu oft die reaktion auf den druck, der es ihnen unmoeglich machen soll, die widersprueche und spaltungen in der welt unserer erfahrung zu erkennen. die tiefere krankheit, die wir nicht sehen, weil unsere aufmerksamkeit ganz vom "verrueckten" verhalten der schizophrenen in anspruch genommen ist, liegt darin, dass diese menschen angesichts der gesellschaftlichen widersprueche und luegen nicht die kraft haben, den inneren zusammenhalt zu bewahren. deshalb auch koennen sie nicht offen rebellieren oder widerstand leisten.

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