wilhelm reich
die massenpsychologie des faschismus
USA 1942 - BRD 1970
ISBN 3-462-01794-2

 

2. vorwort zur dritten korrigierten und erweiterten auflage

umfassende und gewissenhafte heilarbeit am menschlichen charakter hat mir die ueberzeugung beigebracht, dass wir beim beurteilen menschlicher reaktionen grundsaetzlich mit drei verschiedenen schichten der biophysischen struktur zu rechnen haben. diese schichten der charakterstruktur sind, wie ich in meinem buch 'charakteranalyse' dargelegt habe, autonom funktionierende ablagerungen der sozialen entwicklung. in der oberflaechlichen schichte seines wesens ist der durchschnittliche mensch verhalten, höflich, mitleidig, pflichtbewusst, gewissenhaft. es gaebe keine soziale tragoedie des menschentiers, wenn diese oberflaechliche schichte des wesens mit dem tiefen natuerlichen kern unmittelbar in kontakt waere. dies ist nun tragischerweise nicht der fall: die oberflaechliche schichte der sozialen kooperation ist ohne kontakt mit dem tiefen biologischen kern der person; sie ist getragen von einer zweiten, einer mittleren charakterschichte, die sich durchwegs aus grausamen, sadistischen, sexuell luesternen, raubgierigen und neidischen impulsen zusammensetzt. sie stellt das freudsche "unbewusste" oder "verdraengte" dar, die summe aller sogenannten "sekundaeren triebe" in der sprache der sexualoekonomie.

die orgonbiophysik vermochte das freudsche unbewusste, das antisoziale im menschen, als sekundaeres resultat der unterdrueckung primaerer biologischer antriebe zu begreifen. dringt man durch diese zweite schichte des perversen tiefer ins biologische fundament des menschentieres vor, so entdeckt manregelmaessig die dritte und tiefste schichte, die wir den "biologischen kern" nennen. zutiefst, in diesem kern, ist der mensch ein unter guenstigen sozialen umstaenden ehrliches, arbeitsames, kooperatives, liebendes oder, wenn begruendet, rational hassendes tier. man kann nun in keinem falle charakterlicher auflockerung des menschen von heute zu dieser tiefsten, so hoffnungsreichen schichte vordringen, ohne erst die unechte scheinsoziale oberflaeche zu beseitigen. faellt die maske der kultiviertheit, so kommt aber zunaechst nicht die natuerliche sozialitaet, sondern nur die perverssadistische charakterschichte zum vorschein.

diese unglueckselige strukturierung ist dafuer verantwortlich, dass jeder natuerliche, soziale oder libidoese impuls, der aus dem biologischen kern zur aktion vordringen will, die schichte der sekundaeren perversen triebe zu passieren hat und dabeiabgebogen wird. diese abbiegung veraendert den urspruenglichen sozialen charakter der natuerlichen impulse ins perverse und zwingt derart zur hemmung jeder echten lebensaeusserung.

uebertragen wir unsere menschliche struktur ins soziale und politische.

es ist unschwer zu erkennen, dass die verschiedenen politischen und ideologischen gruppierungen der menschlichen gesellschaft den verschiedenen schichten der menschlichen charakterstruktur entsprechen. wir verfallen natuerlich nicht dem fehler der idealistischen philosophie, anzunehmen, dass diese menschliche struktur von aller ewigkeit in alle ewigkeit umwandelbar besteht. nachdem soziale umstaende und veraenderungen die urspuenglichen biologischen ansprueche des menschen zur charakterstruktur geformt haben, reproduziert die charakterstruktur in form der ideologien die soziale struktur der gesellschaft.

der biologische kern des menschen ist nun seit dem untergange der primitiven arbeitsdemokratischen organisationen ohne soziale vertretung geblieben. das "natuerliche" und "hohe" im menschen, dasjenige, das ihn mit seinem kosmos verbindet, ist nur in den grossen kuensten, besonders in der musik und in der malerei, zu echtem ausdruck gekommen. es blieb aber bisher ohne wesentlichen einfluss auf die gestaltung der menschlichen gesellschaft, wenn man unter gesellschaft nicht die kultur einer kleinen reichen oberschichte, sondern die gemeinschaft aller menschen versteht.

in den etischen und sozialen idealen des liberalismus erkennen wir die vertretung der zuege der oberflaechlichen, auf selbstbeherrschung und toleranz bedachten charakterschichte. dieser liberalismus betont seine ethik zum zwecke der niederhaltung des "untiers im menschen", unserer zweiten schichte der "sekundaeren triebe", des freudschen "unbewussten". die natuerliche sozialitaet der tiefsten, dritten schicht, der kernschichte, ist dem liberalen fremd. er bedauert und bekaempft die menschliche charakterperversion mittels ethischer normen, aber die sozialen katastrophen des XX. Jahrhunderts lehrten, dass er damit nicht weit kam.

alles echt revolutionaere, jede echte kunst und wissenschaft stammt aus dem natuerlichen biologischen kern des menschen. weder der echte revolutionaer noch der kuenstler oder der wissenschaftler hat bisher massen gewonnen, gefuehrt oder, wenn gefuehrt, dauernd im bereiche der lebensinteressen halten koennen.

anders, und im gegensatz zum liberalismus und zur echten revolution, ist es um den faschismus bestellt. er stellt in deinem wesen weder die oberflaechliche noch die tiefste, sondern wesentlich die zweite, mittlere charakterschichte der sekundaeren triebe dar.

der faschismus wurde zur zeit der ersten niederschrift dieses buches allgemein als eine "politische partei" betrachtet, die wie andere "soziale gruppierungen" eine "politische idee" organisiert vertrat. demzufolge "fuehrte die faschistische partei dem faschismus mittels gewalt oder 'politische manoever' ein".

im gegensatz dazu hatten mich meine aerztlichen erfahrungen mit menschen vieler schichten, rassen, nationen, glaubensbekenntnissenetc. gelehrt, dass "faschismus" nur der politisch organisierte ausdruck der durchschnittlichen menschlichen charakterstruktur ist, eine struktur, die weder an bestimmte rassen oder nationen noch an bestimmte parteien gebunden ist, die allgemein und international ist. in diesem charakterlichen sinne ist "faschismus" die emotionelle grundhaltung des autoritaer unterdrueckten menschen der maschinellen zivilisation und ihrer mechanisch-mystischen lebensauffassung.

der mechanistisch-mytische charakter der menschen unserer epoche schafft die faschistischen parteien und nicht umgekehrt.

der faschismus wird auch heute noch, infolge des politischen fehldenkens, als eine spezifische nationaleigenschaft der deutschen oder der japaner aufgefasst. aus der ersten fehlauffassung folgen alle weiteren fehldeutungen.

der faschismus wurde und wird noch immer, zum schaden der echten freiheitsbestrebungen, als eine diktatur einer kleinen reaktionaeren clique aufgefasst.

die hartnaeckigkeit dieses irrtums ist der angst vor dem erkennen der wirklichen sachlage zuzuschreiben: der faschismus ist eine internationale erscheinung, die saemtliche koerperschaften der menschlichen gesellschaft aller nationen durchsetzt. dieser schluss ist in uebereinstimmung mit den internationalen vorgaenge der letzten 15 jahre.

meine charakteranalytischen erfahrungen ueberzeugten mich dagegen, dass es heute keinen einzigen lebenden menschen gibt, der nicht in seiner struktur die elemente des faschistischen fuehlens und denkens truege. der faschismus als politische bewegung unterscheidet sich von anderen reaktionaeren parteien dadurch, dass er von menschenmassen getragen und vertreten wird.

mir ist die verantwortungsfuelle solcher behauptung voll bewusst. ich wuenschte im interesse dieser zerschundenen welt, dass der arbeitenden menschenmasse ihre verantwortung fuer den faschismus ebenso klar waere.

man muss scharf zwischen gewoehnlichen militarismus und faschismus unterscheiden. das wilhelminische deutschland war militaristisch, aber nicht faschistisch.

da der faschismus stets und ueberall als eine von menschenmassen getragene bewegung auftritt, verraet er alle zuege und ist nicht, wie allgemein geglaubt wird, eine rein reaktionaere bewegung, sondern er stellt ein amalgan dar, zwischen rebellischen emotionen und reaktionaeren sozialen ideen.

versteht man unter revolutionaersein die rationale auflehnung gegen unertraegliche zustaende in der menschlichen gesellschaft, den rationalen willen, "allen dingen auf den grundzu gehen" ("radikal" - "radix" = "wurzel") und sie zu bessern, dann ist der faschismus nie revolutionaer. er mag zwar im gewande revolutionaerer emotionen auftreten. aber man wird nicht den arzt revolutionaer nennen, der gegen eine krankheit mit ausgelassenen schimpfworten vorgeht, sondern denjenigen, der still, mutig und gewissenhaft die ursachen der krankheit erforscht und bekaempft. faschistisches rebellentum entsteht immer dort, wo eine revolutionaere emotion durch angst vor der wahrheit in die illusion umgebogen wird.

der faschismus ist in seiner reinen form die summe aller irrationalen reaktionen des durchschnittlichen menschlichen charakters. dem bonierten soziologen, dem der mut zu anerkennung der uebertragenen rolle des irrationalen in der geschichte der menschheit fehlt, erscheint die faschistische rassentheorie bloss als ein imperialistisches interesse oder, milder, als "vorurteil". ebenso dem verantwortungslosen, phrasenhaften politikanten. die rasanz und die weite verbreitung dieser "rassevorurteile" bezeugt ihre herkunft aus dem irrationalen teil des menschlichen charakters. die rassetheorie ist keine schoepfung des faschismus. umgekehrt: der faschismus ist eine schoepfung des rassehasses und sein politisch organisierter ausdruck. demzufolge gibt es einen deutschen, italienischen, spanischen, anglosaechsischen, juedischen und arabischen faschismus. die rasseideologie ist ein echt biopathischer charakterausdruck des orgastisch impotenten menschen.

der sadistisch-perverse charakter der rasseideologie verraet sein wesen auch in der stellung zur religion. der faschismus waere, so heisst es, rueckkehr zum heidentum und ein todfeind der religion. weit davon entfernt, ist der faschismus der extreme ausdruck des religioesen mystizismus. als solcher tritt er in besonderer sozialer gestalt auf. der faschismus stuetzt diejenige religioesitaet, die aus der sexuellen perversion stammt, und er verwandelt den masochistischen charakter der leidensreligion des alten patriachats in eine sadistische religion. demzufolge versetzt er die religion aus dem jenseitsbereiche der leidensphilosophie in das diesseits des sadistischen mordens.

die faschistische mentalitaet ist die mentalitaet des kleinen, unterjochten, autoritaetssuechtigen und gleichzeitig rebellischen "kleinen mannes". es ist kein zufall, dass saemtliche faschistische diktatoren aus dem lebensbereiche des kleinen reaktionaeren mannes stammen. der grossindutrielle und der feudale militarist nuetzt diese soziale tatsache fuer seine zwecke aus, nachdem sie sich im bereiche der allgemeinen lebensunterdrueckung entwickelt hat. die mechanistisch autoritaere zivilisation erhaelt in gestalt des faschismus nur vom kleinen, unterdruckten manne wieder, was sie seit jahrhunderten an mystik, feldwebeltum, automatismus in die massen der kleinen unterdrueckten menschen gesaet hat. dieser kleine mann hat dem grossen mann sein verhalten allzugut abgeguckt, und er bringt es verzerrt und vergroessert wieder. der faschist ist der feldwebel in der riessenarmee unserer tief kranken, grossindustriellen zivilisation. man macht dem kleinen menschen nicht ungestraft das grosse tamtam der hohen politik vor: der kleine feldwebel hat den imperialistischen general in allem uebertroffen: in der marschmusik, im stechschritt, im befehlen und gehorchen, in der toedlichen angst vor dem denken, in der diplomatie, strategie und taktik, im uniformieren und paradieren, im dekorieren und medaillieren. ein kaiser wilhelm erwies sich in all diesen dingen als ein elender stuemper, verglichen mit dem hungernden beamtensohn hitler. wenn sich ein "proletarischer" general seine brust mit medaillen auf beiden seiten, und darueber hinaus von der kehle bis zum nabel vollhaengt, so demonstriert der den kleinen mann, der hinter dem "echten", grossen general nicht zurueckbleiben moechte.

man muss den charakter des kleinen unterdrueckten menschen jahrelang gruendlich studiert haben, so wie sich die dinge hinter der fassade abspielen, um zu begreifen, auf welche maechte sich der faschismus stuetzt.

in der rebellion der masse der misshandelten menschentiere gegen die nichtssagenden hoeflichkeiten des falschen liberalismus (ich meine nicht den echten liberalismus und die echte toleranz) kam die charakterliche schichte der sekundaeren triebe zum vorschein.

man kann den faschistischen amoklaeufer nicht unschaedlich machen, wenn man ihn, je nach politischer konjunktur, nur im deutschen oder italiener und nicht auch im amerikaner und chinesen sucht; wenn man ihn nicht in sich selbst aufspuert; wenn man nicht die sozialen institutionen kennt, die ihn taeglich ausbrueten.

man kann den faschismus nur schlagen, wenn man ihm sachlich und praktisch mit gut begruendeter kenntnis der lebensprozesse entgegentritt. das polarisieren, diplomatisieren und paradieren macht ihm keiner nach. doch auf praktische lebensfragen hat er keine antwort, denn er sieht alles nur im spiegel der ideologie oder in gestalt der staatlichen uniform.

wenn man einen faschistischen charakter welcher faerbung immer die "ehre der nation" (statt die ehre des menschen) oder die "rettung der heiligen familie und der rasse" (statt die gesellschaft der arbeitenden menschheit) predigen hoert; wenn er sich aufprustet und das maul voll von schlagworten hat, so frage man ihn oeffentlich still und einfach:

"was tust du praktisch, um die nation zu fuettern, ohne andere nationen zu morden? was tust du als arzt gegen die chronische krankheiten, was als erzieher zur foerderung kindlichen lebensgluecks, was als oekonom gegen armut, was als sozialarbeiter gegen zermuerbung kinderreicher muetter, was als baumeister zur foerderung der wohnhygiene? nun aber schwaetze nicht, sondern gib konkrete praktische antwort oder halte deinen mund!"

daraus folgt: der internationale faschismus wird nie durch politische manoever besiegt werden. er wird der internationalen natuerlichen organisation der arbeit, der liebe und des wissens unterliegen.

noch verfuegen arbeit, liebe und wissen in unserer gesellschaft nicht ueber die macht der bestimmung des menschlichen daseins. mehr, diese grossen maechte des positiven lebensprinzips sind sich ihrer gewaltigkeit, ihrer unersetzlichkeit, ihrer ueberragenden bedeutung fuer das soziale sein nicht bewusst. deshalb findet sich heute die menschliche gesellschaft, ein jahr nach der militaerischen besiegung des parteilichen faschismus, weiter am rande des abgrundes. der sturz unserer zivilisation ist unaufhaltbar, wenn die traeger der arbeit, die naturwissenschaftler aller lebens- (nicht todes-)zweige und die spender und empfaenger der natuerlichen liebe sich ihrer riessenverantwortung nicht rasch genug bewusst werden sollten.

das lebendige kann ohne den faschismus, aber der faschismus kann ohne das lebendige nicht sein. er ist ein vampyr am koerper des lebendigen, der mordimpulse auslebt, wenn im fruehling die liebe nach erfuellung ruft.

"wird die menschliche und soziale freiheit, wird die selbstverwaltung unseres lebens und des lebens unserer nachkommen friedlich oder gewaltsam durchdringen?" so lautet eine bange frage. niemand kennt die antwort.

doch wer die funktionen des lebendigen am tier, am neugeborenen kinde, am hingebungsvollen arbeiter, sei er nun mechaniker, forscher oder kuenstler, kennt, der hoert auf in begriffen zu denken, die das parteiunwesen in diese welt gesetzt hat. das lebendige kann keine "macht gewalttaetig ergreifen", denn es wuesste nicht, was mit macht anzufangen ist. bedeuted dieser schluss, dass das lebendige leben fuer immer dem politischen gangstertum ausgeliefert, immer sein opfer und erdulder sein wird, dass der politikant immer an seinem blute saugen wird? dieser schluss waere falsch.

als arzt habe ich krankheiten zu heilen. als forscher unbekannte naturzusammenhaenge zu enthuellen. kaeme nun ein politischer winbeutel daher, um mich zu zwingen, meine kranken und mein mikroskop im stiche zu lassen, so wuerde ich mich nicht stoeren lassen, sondern ihn zur tuere hinauswerfen, wenn er nicht freiwillig ginge. ob ich gewalt anwenden muss, um meine arbeit am leben vor eindringlingen zu schuetzen, haengt nicht von mir oder meiner arbeit, sondern vom grade der frechheit des eindringlings ab. man stelle sich nun vor, dass alle, die arbeit am lebendigen leisten, den politischen windbeutel rechtzeitig erkennen koennten. sie wuerden nicht anders handeln. vielleicht liegt in diesem vereinfachten beispiel das stueck antwort auf die frage, wie sich frueher oder spaeter das lebendige gegen seine stoerer und zerstoerer wehren wird.

die massenpsychologie des faschismus entstand in den deutschen krisenjahren 1930-1933. sie wurde 1933 niedergeschrieben; sie erschien im september 1933 in erster und im april 1934 in zweiter auflage in daenemark.

seither sind 10 jahre verstrichen. die enthuellung der irrationalen natur der faschistischen ideologie brachte dem buch oft allzu begeisterte, von wissen und tat unbeschwerte zustimmung in allen politischen lagern. es ging - zum teil unter decknamen - massenweise ueber die deutschen grenzen. die illegale revolutionaere bewegung in deutschland nahm es freudig auf. es stellte jahrelangen kontakt mit der deutschen antifaschistischen bewegung her.

die faschisten verboten das buch 1935 zusammen mit der gesamten literatur der politischen psychologie. teile daraus wurden in frankreich, amerika, tschecheslowakei, skandinavien etc. abgedruckt, und es wurde in ausfuehrlichen artikeln gewuerdigt. nur die oekonomisch festgefahrenen parteisozialisten und die bezahlten parteibeamten, die ueber die politischen machtorgane verfuegten, wussten bis zum heutigen tage damit nichts anzufangen. von den kommunistischen parteifuehrungen z.b. in daenemark und norwegen wurde es heftig angegriffen und als "konterrevolutionaer" gebrandmarkt. es ist dagegen bezeichnend, dass revolutionaer gesinnte jugendliche aus faschistischen verbaenden die sexual-oekonomische erklaerung der irrationalen rassetheorie verstanden.

1942 kam aus england der vorschlag, die massenpsychologie des faschismus ins englische zu uebersetzen. dies stellte mich vor die aufgabe, das buch 10 jahre nach der abfassung auf seine brauchbarkeit zu pruefen. das resultat dieser ueberpruefung spiegelt genau die riesenhaften umwaelzungen im denken des letzten jahrzehnts wieder. es ist auch der pruefstein fuer die tragfaehigkeit der sozialen sexualoekonomie und ihrer beziehung zu den sozialen umwaelzungen unseres jahrhunderts. ich hatte dieses buch mehrere jahre nicht mehr in den haenden gehabt. als ich es nun zu korrigieren und zu erweitern begann, erlebte ich die vor 15 jahren begangenen denkfehler, die umwaelzungen im denken und die wissenschaftlichen anforderungen, die die ueberwindung des faschismus stellt, in erschuetternder weise.

zunaechst durfte ich es mir gestatten, einen grossen triumph zu geniessen. die sexualoekonomische analyse der ideologie des faschismus hielt der kritik der zeit nicht nur stand, sondern sie war im wesentlichen durch die letzten 10 jahre glaenzend bestaetigt. sie ueberdauerte den untergang der oekonomischen, vulgaermarxistischen auffassung, mit der die deutschen marxistischen parteien dem faschismus beizukommen versuchten. es spricht fuer die massenpsychologie, dass sie 10 jahre nach der abfassung neu angefordert wird. dessen kann sich keine marxistische schrift aus der zeit um 1930 ruehmen, deren verfasser die sexualoekonomie verdammt hatten.

die umwaelzungen im denken praegten sich bei der umarbeitung der zweiten auflage wie folgt aus:

um 1930 hatte ich keine ahnung von den natuerlichen arbeitsdemokratischen beziehungen der werkstaetigen menschen. die jungen sexualoekonomischen einsichten in die menschliche strukturbildung waren damals im rahmen des denkens der marxistischen parteien untergebracht. ich arbeitete zu der zeit in liberalen, sozialistischen und kommunistischen kulturorganisationen und war routinemaessig gezwungen, die ueblichen marxistisch-soziologischen begriffe im zusammenhange mit den sexualoekonoischen darstellungen zu gebrauchen. der riessenwiderspruch zwischen sozialer sexualoekonomie und vulgaerem oekonomismus kam schon damals in peinlichen auseinandersetzungen mit verschiedenen funktionaeren der parteien zum ausdruck. mir war aber, als ich noch an die grundsaetzlich wissenschaftliche natur der marxistischen parteien glaubte, unverstaendlich, aus welchem grunde die parteileute die sozialen wirkungen meiner aerztlichen arbeit gerade dann am schaerfsten bekaempften, wenn massen von angestellten, industriearbeitern, kleinen kaufleuten, studenten etc. in die sexualoekonomisch orientierten organisationen stroemten, um sich wissen ueber das lebendige leben zu holen. ich werde nie den "roten professor" aus moskau vergessen, der 1928 in einem meiner wiener studentenvortraege beordert war, um den "parteistandpunkt" gegen mich zu vertreten. der mann erklaerte unter anderem, "der oedipuskomplex waere ein bloedsinn", so etwas existierte nicht. 14 jahre spaeter verbluteten seine russischen genossen unter den tanks der fuehrerhoerigen deutschen maschinenmenschen.

man haette doch erwarten muessen, dass parteien, die die menschliche freiheit zu erkaempfen vorgaben, ueber die wirkungen meiner politisch-psychologischen arbeit nur erfreut sein wuerden. wie die archive unseres instituts ueberzeugen, was das gerade gegenteil der fall: je groesser die sozialen wirkungen der massenpsychologischen arbeit waren, desto schaerfer wurden die gegenmassnahmen der parteipolitiker. schon 1929-1930 sperrte die oesterreichische sozialdemokratie ihre kulturorganisationen den referenten unserer organisation. die sozialistischen sowohl wie die kommunistischen organisationen verboten, trotz scharfen protestes der mitglieder, den vertrieb der schriften des "verlags fuer sexualpaedagogik" in berlin schon 1932. mir wurde gedroht, dass ich an die wand gestellt werden wuerde, sobald der marxismus zur macht in deutschland gelangte. 1932 sperrten die kommunistischen organisationen in deutschland, gegen den willen der mitglieder, ihre versammlungslokale fuer den sexualoekonomischen arzt. mein ausschluss aus beiden organisationen erfolgte aus dem grunde, dass ich die sexuologie in die sozialwissenschaft einfuehrte und die konsequenzen fuer die menschliche strukturbildung zog. in den jahren zwischen 1934 und 1937 waren es immer wieder funktionaere der kommunistischen partei, die die faschistisch orientierten kreise in europa auf die "gefaehrlichkeit" der sexualoekonomie hinwiesen. dies ist dokumentarisch belegt. die sexualoekonomischen schriften wurden an der sowjetrussischen grenze ebenso zurueckgewiesen wie die massenscharen von fluechtlingen, die sich vor dem deutschen faschismus zu retten versuchten. dagegen gibt es kein gueltiges argument.

diese damals sinnlos scheinenden vorgaenge wurden mir vollends verstaendlich, als ich die massenpsychologie des faschismus nun neu bearbeitete. die sexualoekonomisch-biologischen tatsachenfeststellungen waren in die marxistische vulgaerterminologie eingezwaengt wie ein elefant in ein fuchsloch. ich hatte schon bei der neubearbeitung meines jugendbuches [gemeint ist 'Der sexuelle Kampf der Jugen'] 1938 festgestellt, dass jedes sexualoekonomische wort seine bedeutung nach 8 jahren beibehalten, dass aber jedes parteischlagwort, das ich in das buch hineingenommen hatte, sinnlos geworden war. ebenso ging es mit der dritten auflage der massenpsychologie des faschismus:

heute ist es ganz allgemein klar geworden, dass "faschismus" keine tat eines hitler oder mussolini, sondern ausdruck der irrationalen struktur der massenmenschen ist. es ist heute klarer als vor 10 jahren, dass die rassetheorie biologischer mystizismus ist. man ist heute dem verstehen der organisierten massensehnsucht zugaenglicher als vor 10 jahren, und man ahnt bereits allgemein, dass der faschistische mystizismus orgastische sehnsucht unter der bedingung der mystischen abbiegung und hemmung der natuerlichen sexualitaet ist. die sexualoekonomischen aussagen ueber den faschismus gelten heute noch besser als vor 10 jahren. die marxistischen parteibegriffe im buch dagegen mussten durch die bank gestrichen und neu ersetzt werden.

bedeutet dies, dass die wirtschaftstheorie des marxismus grunsaetzlich falsch ist? ich moechte diese frage durch ein beispiel verdeutlichen. ist das mikroskop aus der zeit pasteurs oder die wasserpumpenmaschine, die leonardo da vinci konstruierte, "falsch"? der marxismus ist eine wissenschaftliche wirtschaftstheorie, die den sozialen verhaeltnissen des anfangs und der mitte des 19. jahrhunderts entstammt. der soziale prozess hatte aber nicht halt gemacht, sondern er hatte sich in den grundsaetzlich andersartigen prozess des 20. jahrhunderts fortgesetzt. in diesem neuen sozialen prozess finden wir ebenso alle wesentlichen grundzuege des 19. jahrhunderts, wie wir im modernen mikroskop die grundstruktur des pasteurschen mikroskops, oder wie wir in der modernen wasserleitung das grundprinzip leonardo da vincis wiederfinden. aber man koennte weder mit dem pasteurschen mikroskop noch mit der pumpe von leonardo da vinci heute irgend etwas anfangen. sie sind ueberholt durch grundsaetzlich neue vorgaenge und funktionen, die einer grundsaetzlich neuen auffassung und technik entsprechen. die marxistischen parteien in europa versagten und gingen unter (das ist nicht schadenfroh gesagt!), weil sie den faschismus, des 20. jahrhunderts, eine grundsaetzlich neue erscheinung, mit begriffen zu fassen versuchten, die dem 19. jahrhundert entsprachen. sie gingen als soziale organisationen unter, weil sie es versaeumten, die lebendigen entwicklungsmoeglichkeiten, die jeder wissenschaftlichen theorie anhaften. lebendig zu erhalten und fortzuentwickeln. ich bedauere nicht, mich jahrelang als arzt in den marxistischen organisationen betaetigt zu haben. ich habe meine soziologischen kenntnisse nicht aus buechern, sondern wesentlich aus praktischem miterleben der kaempfe der menschenmassen um ein wuerdiges, freies dasein erworben. die besten sexualoekonomischen einsichten entstammten gerade den irrtuemern im denken derselben menschenmassen, die ihnen dann die faschistische pest einbrachten. als arzt war mir der international arbeitende und sorgende mensch in einer weise zugaenglich wie keinem parteipolitiker. der parteipolitiker sah nur die "arbeiterklasse", die er mit "klassenbewusstsein erfuellen" wollte. ich sah das lebewesen mensch, das unter gesellschaftliche verhaeltnisse schlimmster art geraten war, die es selbst geschaffen hatte, die es charakterlich verankert in sich trug und von denen es sich vergeblich zu befreien versuchte. die kluft zwischen oekonomitischer und bio-soziologischer anschauung wurde unueberbrueckbar. der "theorie des klassenmenschen" trat die irrationale natur der gesellschaft des tieres "mensch" gegenueber.

heute weis jeder, dass die marxistischen wirtschaftsanschauungen das denken der modernen menschheit mehr oder minder durchdrungen und beeinflusst haben, sehr oft ohne dass die betreffenden oekonomen und soziologen sich dessen bewusst sind, von wem ihre anschauungen herstammen. begriffe wie: "klasse", "profit", "ausbeutung", "klassenkampf", "ware" und "mehrwert" sind menschliches allgemeingut geworden. es gibt dagegen heute keine partei, die als erbin und lebendige vertreterin des wissenschaftlichen guts des marxismus gelten kann, wenn es um soziologische entwicklungstatsachen und nicht um schlagworte geht, die sich mit dem inhalt nicht mehr decken.

in den jahren zwischen 1937 und 1939 entwickelte sich der neue begriff der "arbeitsdemokratie". die dritte auflage der massenpsychologie des faschismus enthaelt die darstellung der grundzuege dieses neuen sozilogischen begriffs. er umfasst die besten, noch heute gueltigen soziologischen funde des marxismus. er traegt gleichzeitig den sozialen veraenderungen rechnung, die sich im verlaufe der letzten hundert jahre am "arbeiter" vollzogen haben. ich weiss aus erfahrung, dass es gerade die "einzigen vertreter der arbeiterschaft" und die gewesenen und kommenden "fuehrer des internationalen proletariats" sein werden, die diese fortentwicklung des sozialen arbeiterbegriffs als "faschistisch", "trotzkistisch", "konterrevolutionaer", "parteifeindlich" etc. bekaempfen werden. organisationen von arbeitern, die neger ausschliessen und hitlerei betreiben, verdienen es nicht, als gruender einer neuen, freien gesellschaft betrachtet zu werden. die hitlerei macht eben nicht an den grenzen der nazi-partei oder deutschlands halt; sie durchsetzt die arbeitsorganisationen der liberalen und demokratischen kreise. faschismus ist keine politische partei, sondern eine bestimmte lebensauffassung und einstellung zu mensch, liebe und arbeit. dies wird nichts an der tatsache aendern, dass die politik der marxistischen parteien der vorkriegszeit ausgepielt und keine zukunft mehr hat. genauso wie der begriff der sexuellen energie innerhalb der psychoanalytischen organisation unterging und in der entdeckung des orgons kraeftig und jung neu erstand, so ging auch der begriff des internationalen arbeiters im marxistischen parteiwesen unter und ersteht neu im rahmen der sozialen sexualoekonomie. denn die taetigkeiten des sexualoekonomen sind nur im rahmen aller uebrigen gesellschaftlich notwendigen arbeit und sie sind nicht im rahmen des reaktionaeren, mystifizierten, nicht-arbeitenden lebens moeglich.

die sexualoekonomische soziologie wurde in den anstrengungen, die tiefenpsychologie freuds mit der oekonomielehre von marx in einklang zu bringen, geboren. triebhafte und sozial-oekonomische prozesse bestimmen das menschliche sein. aber wir muessen die elektrischen versuche ablehnen, die "trieb" und "wirtschaft" willkuerlich zusammensetzen. die sexualoekonomische soziologie loest den widerspruch auf, der die psychoanalyse den sozialen faktor und den marxismus den tierischen ursprung des menschen vergessen liess. wie ich es an anderer stelle ausdrueckte: die psychoanalyse ist die mutter, die soziologie der vater der sexualoekonomie. aber ein kind ist mehr als die summe der eltern. es ist ein neues, selbständiges, zukunftstraechtiges lebewesen.

entsprechend der neuen, sexualoekonomischen fassung des begriffs der "arbeit" wurden folgende veraenderungen in der terminologie des buches vorgenommen. die begriffe "kommunistisch", "sozialistisch", "klassenbewusst" etc. wurden durch soziologisch und psychologisch eindeutige worte wie "revolutionaer" und "wissenschaftlich" ersetzt. sie bedeuten "radikal umwaelzend", "rational taetig", "die dinge an der wurzel fassend".

dies traegt der tatsache rechnung, dass heute nicht mehr die kommunistischen oder sozialistischen parteien, sondern im gegensatz zu ihnen viele unpolitische menschengruppen und gesellschaftliche schichten jeder politischen schattierung immer mehr revolutionaer gesinnt werden, d.h. nach einer grundsaetzlich neuen, rationalen gesellschaftsordnung streben. es ist allgemeines gesellschaftliches bewusstsein geworden, und es wurde selbst von alten buergerlichen politikern ausgesprochen, dass die welt durch den krampf gegen die faschistische pest in den prozess einer riesenhaften, internationalen, revolutionaeren umwaelzung geriet. die worte "proletarier" und "proletarisch" wurden vor mehr als hundert jahren zur kennzeichnung einer voellig rechtlosen, in der masse verelendeten schichte der gesellschaft gepraegt. zwar gibt es noch heute solche menschengruppen, aber die urenkelkinder der proletarier des 19. jahrhunderts sind zu spezialisierten, technisch hochentwickelten, unentbehrlichen, verantwortlichen und fachbewussten industriearbeitern geworden. an die stelle des wortes "klassenbewusstsein" tritt das wort "fachbewusstsein" oder "soziale verantwortlichkeit".

im marxismus des 19. jahrhunderts war das "klassenbewusstsein" eingeschraenkt auf den handarbeiter. die arbeitenden aber, die in anderen lebensnotwendigen berufen taetig sind, ohne die die gesellschaft nicht funktionieren koennte, wurden als "intellektuelle" oder "kleinbourgeoisie" dem "handarbeiter-proletariat" gegenuebergestellt. diese schematische und heute unzutreffende gegenueberstellung war am siege des faschismus in deutschland ganz wesentlich beteiligt. der begriff "klassenbewusstsein" ist nicht zu eng, sondern er deckt sich nicht einmal mit der struktur der handarbeiterschaft. "industriearbeit" und "proletarier" wurden daher ersetzt durch die begriffe "lebensnotwendige arbeit" und "der arbeitende". diese beiden begriffe umfassen alle werktaetigen, die gesellschaftlich lebensnotwendige arbeit leisten. also neben den industriearbeitern die aerzteschaft, erzieherschaft, technikerschaft, die laboratoriumsarbeiter, schriftsteller, gesellschaftliche administratoren, farmerschaft, wissenschaftliche arbeiter etc. dadurch hebt sich eine kluft auf, die gar nicht wenig zur zersplitterung der arbeitenden menschlichen gesellschaft und mithin zum faschismus, ob schwarz oder rot, beigetragen hat.

die marxsche soziologie stellte aus unkenntnis der massenpsychologie den "buerger" dem "proletarier" gegenueber. dies ist psychologisch falsch. die charakterliche struktur ist nicht auf den kapitalismus beschraenkt, sondern durchsetzt die arbeitenden aller berufe. es gibt freiheitliche kapitalisten und reaktionaere arbeiter. es gibt keine charakterlichen klassengrenzen. daher wurden die oekonomischen begriffe "bourgeoisie" und "proletariat" durch die charakterlichen begriffe "reaktionaer" und "revolutionaer" oder freiheitlich" ersetzt. diese aenderung wurde durch die faschistische pest aufgezwungen.

der dialektische materialismus, den engels in seinem anti-duehring in den grundzuegen entwickelt hatte, entwickelt sich zum energetischen funktionalismus. diese entwicklung vorwaerts war ermoeglicht durch die entdeckung der biologischen energie, des orgons (1936-1939). soziologie und psychologie erwarben ein solides biologisches fundament. eine solche entwicklung konnte nicht ohne einfluss auf das denken bleiben. mit der entwicklung des denkens veraendern sich alte begriffe, neue treten an stelle von unbrauchbar gewordenen. das marxsche wort "bewusstsein" wurde durch "dynamische struktur", die "beduerfnisse" wurden durch "orgonotische triebprozesse" ersetzt; "tradition" durch "biologische und charakterliche versteifung" etc. etc.

der vulgaermarxistische begriff der "privatwirtschaft" war von der irrationalitaet der menschen so missdeutet worden, als ob die freiheitliche entwicklung der gesellschaft die aufhebung jedes privateigentums bedeutete. das wurde natuerlich von der politischen reaktion weidlich ausgenuetzt. nun hat die entwicklung der gesellschaftlichen und individuellen freiheit nichts mit der sogenannten "aufhebung des privateigentums" zu tun. der marxsche begriff des privateigentums betraf nicht hemden, hosen, schreibmaschinen, klosettpaier, buecher, betten, ersparnisse, wohnhaeuser, landstuecke etc. der menschen. dieser begriff betraf ausschliesslich den privaten besitz an den gesellschaftlichen produktionsmitteln, die den allgemeinen gang der gesellschaf bestimmen. also: eisenbahnen, wasserwerke, elektrizitaetswerke, berggruben etc. die "vergesellschaftung der produktionsmittel" wurde zu einem roten tuch gerade durch ihre vermengung mit der "privaten enteignung" der der huehner, hemden, buecher, wohnstaetten etc. wie es der ideologie der besitzlosen entsprach. die verstaatlichung der gesellschaftlichen produktionmittel hat im letzten jahrhundert in saemtlichen kapitalistischen laendern, hier mehr, dort weniger, ihre private verfuegbarkeit zu zersetzen begonnen.

da die arbeitenden sich in ihrer struktur und freiheitsfaehigkeit nicht der riesenentwicklung der gesellschaftlichen organisationen anpassten, vollzog der "staat" diejenige akte, die eigentlich der "gesellschaft" der arbeitenden vorbehalten waren. in sowjetrussland, der angeblichen hochburg des marxismus, ist von "vergesellschaftung der produktionsmittel" keine rede. die marxistischen parteien hatten einfach "vergesellschaftung" und "verstaatlichung" verwechselt. es zeigt sich in diesem kriege, dass die amerikanische regierung genauso das recht und die moeglichkeit hat, schlecht funktionierende betriebe zu verstaatlichen. eine vergesellschaftung der gesellschaftlichen produktionsmittel, ihre ueberfuehrung vom privatbesitz einzelner in gesellschaftliches eigentum, klingt weit weniger horrend, wenn man sich vergegenwaertigt, dass es heute infolge des krieges in den kapitalistischen laendern nur noch wenige unabhaengige einzelbesitzer und dagegen viele staatlich verantwortliche kollektivbesitzer gibt; dass ferner in sowjetrussland die gesellschaftlichen betribe in keiner weise den arbeitern dieser betriebe, sondern gruppen von staatsfunktionaeren zur verfuegung stehen. die vergesellschaftung der gesellschaftlichen produktionsmittel wird erst dann spruchreif und moeglich sein, wenn die massen der arbeitenden strukturell reif, d.h. verantwortungsbewusst sein werden, sie zu verwalten. sie sind heute in ueberwiegender mehrzahl weder gewillt noch reif dazu. ferner: eine vergesellschaftung grosser betriebe in dem sinne, dass nur die handarbeiter sie verwalten, die techniker, ingenieure, verwalter, administratoren, distributoren etc. aber nicht dazugerechnet werden, ist soziologisch und oekonomisch sinnlos. eine solche idee wird heute selbst von den handarbeitern abgelehnt. waere dem nicht so, dann haetten die marxistischen parteien die macht laengst ueberall erobert.

dies ist der wesentlichste soziologische grund, weshalb sich die privatwirtschaft des 19. jahrhunderts ueberall immer mehr in eine staatskapitalistische planungswirtschaft verwandelt. es muss klar ausgesprochen werden, dass es auch in sowjetrussland keinen staatssozialismus, sondern einen strengen staatskapitalismus gibt; dies im streng marxistischen sinne. der gesellschaftliche zustand "kapitalismus" ist nach marx nixht, wie die vulgaermarxisten glauben, durch das vorhandensein individueller kapitalisten, sondern surch das vorhandensein der spezifisch "kapitalistischen produktionsweise" gegeben. also durch warenwirtschaft anstelle von "gebrauchswirtschaft", durch lohnarbeit der menschenmassen und durch mehrwertproduktion, gleichgueltig ob dieser mehrwert dem staat ueber der gesellschaft, oder individuelle kapitalisten durch private aneignung der gesellschaftlichen produktion zugute kommt. an diesem streng marxschen sinne besteht aber in russland das kapitalistische system fort. und es wird fortbestehen, solange die menschenmassen irrational verseucht und autoritaetssuechtig sein werden, wie sie es jetzt sind.

die sexualoekonomische strukturpsychologie fuegt nun der wirtschaftlichen beschreibung der gesellschaft die charakterliche und biologische an. mit der beseitigung individueller kapitalisten und der errichtung des staatskapitalismus in russland anstelle des privatkapitalismus hat sich an der typisch hilflosen, autoritaeren charakterstruktur der menschenmassen nicht das geringste geaendert.

ferner: die politische ideologie der marxistischen parteien europas operierte mit rein wirtschaftlichen zustaenden, die einem zeitraum von etwa 200 jahren, also etwa vpm 17. bis 19. jahrhundert der maschinenentwicklung, entsprachen. der faschismus des 20. jahrhunderts warf im gegensatz dazu die grundfrage der menschlichen charakterbeschaffenheit, der menschlichen mystik und autoritaetssucht auf, die einem zeitraum von etwa 4000 bis 6000 jahren entsprechen. auch hier versuchte der vulgaermarxismus einen elefanten in ein fuchsloch zu stecken. die soziale sexualoekonomie befasst sich mit einer menschlichen struktur, die nicht in den letzten 200 jahren entstand, sondern eine viele tausend jahre alte patriarchalisch-autoritaere zivilisation wiedergibt. ja, sie behauptet sogar, dass die schaendlichen exzesse der kapitalistischen aera der werktaetigen, rassenunterdrueckung etc.) nicht moeglich gewesen waeren ohne die autoritaetsuechtige, freiheitsunfaehige, mystische struktur der millionenmassen, die all dies erduldet haben. dass diese struktur sozial und erzieherisch erzeugt wurde und nicht naturgegeben ist, aendert an ihrer wirkung nichts. der standpunkt der sexualoekonomischen biophysik ist also im strengen und guten sinne unendlich radikaler als der der vulgaermarxisten, wenn man unter radikalsein "den dingen an die wurzeln fassen" versteht.

aus all dem geht hervor, dass man die faschistische massenpest ebensowenig mit sozialen massnahmen des rahmens der letzten 300 jahre bewaeltigen kann, wie man einen elefanten (6000 jahre) in ein fuchloch (300 jahre) hineinzuzwaengen vermag.

die entdeckung der natuerlich biologischen arbeitsdemokratie im internationalen menschlichen verkehr ist als die antwort auf den faschismus zu betrachten. dies auch dann, wenn nicht ein einziger gegenwaertig lebender sexualoekonom, orgonbiophysoker oder arbeitsdemokrat ihr ausschliessliches funktionieren und ihren sieg ueber die irrationalitaet im sozialen leben erleben sollte.

maine, august 1942

wilhelm reich

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