War der Krieg in der Vergangenheit auf die Eroberung von Land und Boden und später auf die Kontrolle über Produktionskapazitäten gerichtet, so zielt der Krieg im 21. Jahrhundert vollends auf die Macht über das Wissen und die Medien ...

junge Welt Feuilleton 13.01.1999

Schönreden

Clemens Knobloch hat die Strategien politischer Rhetorik untersucht

Warum eigentlich ist der Betrieb, der wegen Steuerfreiheit nach Osteuropa abwandert, kein »Wirtschaftsflüchtling«, warum der polnische Arbeiter, der hier Salat erntet, kein »Globalisierer«? Wie gelingt es ohne tätliche Gewalt, daß Hunderttausende Obdachlose kein politisch-mediales Thema werden, wohl aber eine harmlose Orthographiereform? Natürlich, die herrschende Ideologie ist die Ideologie der Herrschenden. Aber der Effekt erklärt nicht den Mechanismus, der auf Dauer mit Betrug oder Verschwörung allein nicht funktionieren würde.

Clemens Knobloch analysiert in seinem höchstvergnüglich zu lesenden Essay die bürgerliche Massen- und Mediengesellschaft, deren Macht im »Normalfall« nicht mit Gewalt, sondern verbal gesichert ist. Dabei geht es ihm nicht um Politik, deren Entscheidungslogik den Medien ja möglichst verborgen bleiben soll, auch nicht um zuzurechnende Motive, sondern um die Funktionsweise politischer Kommunikation, deren Aufmerksamkeitslogik die Bereitschaft erzeugen soll, einer bestimmten Politik zuzustimmen. Knobloch nennt das politische Rhetorik, will aber nicht etwa Schönredner wie Wolfgang Thierse analysieren. Denn Rhetorik ist nur Rhetorik, wenn sie als solche unerkannt bleibt. Kritisch gegenüber der eigenen Zunft, der die Welt oft selbst zu Sprache und Medium wird, kritisch auch gegenüber Postmodernen, die überall rhetorische Figuren sehen, nur nicht in ihrem eigenen zynisch-koketten Wahrheitsrelativismus, geht es ihm gerade um das Verhältnis zwischen politischer Kommunikation und gesellschaftlichem System.

Knoblochs Ansatz ist radikal: Aus kommunikationstheoretischer Sicht gibt es keine genuin politischen Themen. Sie werden es erst, wenn sie im Spiel um öffentliche Legitimierung von Machtansprüchen als gewinnträchtiges Mittel der Polarisierung durchgesetzt werden. Wer, wie selbst sozialistische Tageszeitungen, zwischen Fakt und Kommentar trennt, ist so meist schon im semantischen Gefängnis eingeschlossen, auch wenn er sich damit besonders kritisch dünkt. Sachzwänge und Fakten sind die Mythen von heute. Souverän dagegen ist, wer den Sachverhalt definiert (Helmut Schelsky), was die intellektuelle Rechte früher als ihre Gegenspieler erkannte.

Die Neoliberalen haben diese Lektion so gut gelernt, daß jenseits ihrer Deutungen nur noch die realsozialistische Mauer zu stehen scheint. Globalisierung, Standort, Reform sind solche medialen Selbstläufer, die derjenige kaum noch steuern muß, dem es gelungen ist, ihre Logik in die Welt gesetzt zu haben. Knobloch entwickelt seine bissigen Thesen an gegenwartspolitischen Themen (Bioethik, Drogen, Arbeitslosigkeit, Wehrmachtsausstellung, Greenpeace, PC, Menschenrechte, Gesundheitspolitik) und entmystifiziert zugleich die im Medienbetrieb inszenierten Charaktermasken: die sogenannte politische Klasse, objektive Experten, Opfer, Tabubrecher, Berufsbetroffene.

Moralisierung und Sachzwang sind die variabel einsetzbaren Pole, um die der politische Diskurs der unpolitischen Massengesellschaft kreist. Entläßt der Unternehmer Arbeitskräfte, so wird dies dem anonymen Druck der Globalisierung zugerechnet, stellt er dagegen neue ein, so seiner verantwortlichen Freiheit als Unternehmer.

Umgekehrt war es diskurstechnisch von tödlicher Komik, daß das Bild vom Ochs' und Esel just in dem Moment an eherne Sachzwänge appellierte, wo eine Chance des Systemerhalts allenfalls durch Mobilisierung widerständiger Ressourcen gegeben gewesen wäre; was lag da näher als die zeitgenössische Spiegel-Karikatur, die den fröhlich auf seinem Gespann sitzenden, auf den Abgrund zurasenden Honecker zeigte.

Erhellend sind die Beobachtungen des Kommunikationstheoretikers zur PDS: Das System braucht Ein- und Ausschließungen, also auch den Bösewicht, den nach der symbolischen Einbindung der Grünen die PDS spielen soll. Wenn es sie nicht gäbe, man müßte sie erfinden. Denn sie ist in der kommunikativ paradoxen Lage, sich unentwegt von der sozialistisch-kommunistisch- stalinistischen Feindprojektion distanzieren zu sollen. Tut sie es, nützt es ihr auch nichts, selbst wenn sie Drewermann zum Vorsitzenden und die Bibel zum Programm machte. Wenn es aber umgekehrt gelungen ist, das Feindbild spaltend in die ausgegrenzte Gruppierung hineinzutragen, so daß sich diejenigen, die es annehmen, mit denen streiten, welche es mit allen Kräften widerlegen möchten, dann hat sich die Feinderklärung schon gelohnt. Schlösse nun der in den Händen der sozialdemokratischen Reformerfraktion liegende Vorstand die medial zum Popanz aufgeblasene Kommunistische Plattform aus, dann wäre die Partei symbolisch gezähmt und könnte ad acta gelegt werden. Aber wo steht eigentlich geschrieben, so Knobloch, daß eine konsequente und nicht einschüchterbare Opposition nicht mehr Macht entfaltet und mehr bewirkt als eine diskursiv eingebundene Regierungspartei oder eine Opposition, die sich so verhält, als sei sie eine?

In diesem Sinne sei das Buch jedem medial inszenierten Vordenker dieser Partei als Pflichtlektüre empfohlen - und sei es nur, damit er die Regeln des Spiels versteht, in dem er immer schon mitspielt. Den anderen gibt das Buch nützliche Instrumentarien im Sinne des doppelsinnigen Mottos des Buches: Wenn es eine Wahrheit gibt, dann ist die Wahrheit ein Einsatz, um den gekämpft wird (Pierre Bourdieu).

Ernst Müller

*** Clemens Knobloch:
Moralisierung und Sachzwang.
Politische Kommunikation in der Massendemokratie.
DISS, Duisburg 1998, DM 28

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